4 Aspekte der Selbstakzeptanz
1. Anerkennen, der Existenz von Erfahrungen
Unser Hirn hat die Gabe Erfahrungen zu ignorieren, die existieren. In einigen Situationen ist das durchaus hilfreich um zu überleben. Verdrängung ist ein Schutzmechanismus unseres Hirns, der – ins besondere bei traumatischen Erfahrungen – anspringt und uns vor weiteren Folgen eines traumatischen Ereignisses zu schützen. Dieser Mechanismus ist also unumstritten sinnvoll um zu überleben.
Was wir, beziehungsweise unser Hirn, als traumatische Erfahrung einstufen ist höchst unterschiedlich und genauso individuell wie wir selbst.
Da wir – und unser Leben – sehr komplex sind, gibt es nicht nur die Möglichkeit, dass wir die Existenz von Erfahrungen in Gänze anerkennen, sondern auch ein breites Spektrum an Zwischenstufen auf dem Weg dahin. Wenn wir beispielsweise eine geliebte Person verlieren, werden wir in der ersten Phase den Verlust leugnen und dann langsam in die zweite Phase des Anerkennens. Trotz der Tatsache, dass wir den Verlust dieser geliebten Person zwar anerkennen, kann es durchaus sein, dass wir unser Leben noch so weiter leben, als sei diese geliebte Person immer noch ein Teil davon. Das äußert sich vielleicht so, dass wir trotzdem das ein oder andere lieb gewonnene Ritual, das wir mit dieser geliebten Person geteilt haben, weiter beibehalten als sei diese Person noch da.
Vor dem Hintergrund, dass unser Hirn also so unglaublich gut darin ist, die Existenz von Dingen und Ereignissen zu leugnen, ist es gar nicht so trivial, dass das dieses Anerkennen, der erste Schritt zur Akzeptanz ist. Denn nur Dinge, die wir auf unserer Lebensreise anerkennen und zu einem Teil unseres „Lebensbuchs“ werden lassen, können wir sie auch akzeptieren.
2. Zulassen
Der zweite Schritt ist es nicht nur anzuerkennen sondern diese auch vollständig zuzulassen.
Hierbei geht es um die Bereitschaft, Erfahrungen nicht nur anzuerkennen, sondern sie auch vollständig zu erleben. Obwohl es oft adaptiv ist, unangenehme Erlebnisse zu vermeiden oder zu ändern, kann ein übermäßiges Vermeiden (auch „erlebnisbezogene Vermeidung“ genannt) kontraproduktiv und psychologisch schädlich werden. Statt Erfahrungen zu unterdrücken oder zu verdrängen, betonen viele Akzeptanzkonzepte die Wichtigkeit, Erlebnisse einfach existieren zu lassen.
Im Unterschied zur Verdrängung, bei der Gedanken unbewusst bleiben, beschreibt Unterdrückung den bewussten Versuch, Gedanken oder Gefühle zu verdrängen. Zulassen bedeutet hingegen, Erlebnisse bewusst anzuerkennen und ihnen Raum zu geben, entweder durch aktive Aufmerksamkeit oder durch das Loslassen von Unterdrückungsbemühungen.
In achtsamkeitsbasierten Ansätzen wird das Zulassen oft als Offenheit gegenüber dem gegenwärtigen Moment beschrieben.
In einigen Ansätzen wird beschrieben, dass beim Zulassen eine mentale positiv-willkommene Haltung eingenommen werden sollte. In meiner Arbeit mit meinen Klienten habe ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass sich viele – nachvollziehbarer Weise – schwer damit tun traumatische Erlebnisse positiv-willkommen zu heißen und es schon ein großer Schritt ist, diesen nicht mehr abwehrend sondern neutral gegenüber zu stehen.
3. Wertfreiheit
Ein dritter Aspekt der Akzeptanz ist das Nicht-Bewerten (non-judging), das sich darauf bezieht, wie wir unsere Erfahrungen interpretieren. Unser Verstand liefert eine laufende Kommentierung, die unser Erleben prägt, oft durch Bewertungen, die Qualität, Wichtigkeit oder Wert einer Situation beurteilen. Solche Bewertungen beeinflussen, wie wir Ereignisse wahrnehmen und fühlen, und sind ein zentraler Fokus vieler Akzeptanzkonzepte.
Im Kontext von Achtsamkeit wird Wertfreiheit als Kernaspekt definiert, der darin besteht, eine wertfreie Haltung gegenüber Gedanken und Gefühlen einzunehmen. Es geht nicht darum, alle Bewertungen zu verhindern, sondern darum, sie loszulassen und zu erkennen, dass viele unnötig sind. Während einige Bewertungen emotional belastend und verzerrend sein können, helfen andere, Ereignisse zu verstehen und angemessen zu reagieren.
Da unsere Emotion immer schneller ist als unser rationaler Verstand mit dem wir uns um diese Wertfreiheit bemühen, ist es quasi unmöglich Erfahrungen komplett wertfrei zu sehen, da an jede Erfahrung auch immer ein Gefühl in unserem inneren Kompass (lymbisches System) gekoppelt ist. Daher braucht es auch noch den vierten Schritt der Akzeptanz die „Unverbindlichkeit“.
4. Unverbindlichkeit
Der vierte Aspekt der Akzeptanz ist die Unverbindlichkeit (non-attachment), die sich auf die Reduktion von intensiven persönlichen Vorlieben bezieht (zum Beispiel von Wünschen und/oder Abneigungen). Während die Wertfreiheit das Loslassen von Urteilen betont, zielt die Unverbindlichkeit darauf ab, die Bindung an bestimmte Ergebnisse zu lockern. Sie ermöglicht es, sowohl das Verlangen nach positiven als auch die Abneigung gegenüber negativen Erfahrungen zu verringern und eine größere Unparteilichkeit zu entwickeln. Wir können dadurch einige Schritte zurück treten, unseren Bildausschnitt zu vergrößern und dadurch die Erfahrung als Teil des „großen Ganzen“ zu sehen. Hierdurch wird es und möglich der Erfahrung weniger Bewertung – da sie im Verhältnis zu tausenden anderen Erlebnissen steht – zu geben.
In kontemplativen Traditionen wird Unverbindlichkeit durch die Erkenntnis gefördert, dass innere Erfahrungen und äußere Umstände vergänglich sind und kein dauerhaftes Glück bringen. Durch Übung können wir lernen, angenehme, unangenehme und neutrale Erlebnisse mit gleichem Interesse zu betrachten.
Es ist wichtig Unverbindlichkeit von Apathie oder Resignation abzugrenzen: Statt Passivität ermöglicht die Unverbindlichkeit uns eine Motivation, die von Weisheit, Rationalität und Mitgefühl geleitet wird. Studien zeigen, dass Unverbindlichkeit mit gesteigertem Wohlbefinden, Empathie und prosozialem Verhalten verbunden ist.
Literaturnachweis:
Mrazek, M. D., Dow, B. R., Richelle, J., Pasch, A. M., Godderis, N., Pamensky, T. A., Rutila, B. A., & Mrazek, A. J. (2024). Aspects of acceptance: building a shared conceptual understanding. Frontiers in Psychology, 15. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2024.1423976